Alles schön und gut.

25 / 10 / 2024
Was ist Design, was hat ein Bäcker damit zu tun und war früher wirklich alles besser? Der in New York lebende Designer Stefan Sagmeister und Martin sind diesen Fragen in einem Gespräch nachgegangen.
Foto: Peter M. Mayr
Würde er mit seiner Arbeit nichts bewirken, würde er etwas anderes tun. Das liegt für den Designer Stefan Sagmeister, der für seine unkonventionellen Arbeiten bekannt ist, auf der Hand. Nicht nur darin sind sich er und Martin einig, als sie sich in den südoststeirischen Weinbergen zum Gespräch treffen.

Der Apfel ist in Stefan Sagmeisters Fall weit vom Stamm gefallen: Der Vorarlberger lebt und arbeitet seit über 30 Jahren im Big Apple. In New York hat er sich früh mit dem Design von Album-Covers – zum Beispiel für die Rolling Stones – einen Namen gemacht. Er hat eine Design-Agentur gegründet, die absichtlich klein bleibt, weil ihm das die Freiheit gibt, unübliche Wege zu gehen. Er wurde mit Design-Preisen ausgezeichnet und hat sich unter anderem mit dem Thema Glück beschäftigt und ob man es trainieren kann. Seine Arbeiten darf man weltweit in Museen und Galerien bewundern. Momentan liegt ihm mit seinem Projekt „Now is better“ viel daran, für eine langfristige Sicht auf unsere Welt zu plädieren.


MARTIN AUER – Du hast schon so viele schöne Dinge gemacht! Als ich an das Gespräch mit dir gedacht habe, habe ich mich gefragt: Hast du jemals Shopdesign gemacht?



STEFAN SAGMEISTER – Nie. Ich habe mal mit meinen Brüdern darüber geredet, weil wir ein Bekleidungsgeschäft zuhause in Bregenz hatten. Es war das große Geschäft in der kleinen Stadt, das meine Eltern geführt haben. Damals war es ein reines Gebrauchskleidungsgeschäft. Meine Brüder haben es übernommen und modisch gemacht. Einer für Männer, einer für Frauen. Sie haben sich im Prinzip in den hohen Preis geflüchtet.



MARTIN AUER – Weil sonst nichts mehr zu holen war?



STEFAN SAGMEISTER – Ja, richtig. Sie sind sehr erfolgreich und haben jeder rund zehn Geschäfte. Und die brauchten Innengestaltung. Aber das war doch zu weit entfernt von dem, was wir machen. Ich lehne mich gerne in andere Richtungen, wie Film oder Möbel etc. Aber für Shopdesign hat das Interesse gefehlt. Und Retail braucht außerdem richtig große Spezialität. Das traue ich mir nicht zu. Es soll ja nicht einfach irgendein Geschäft sein, sondern in dem Bereich das Beste. Das würde Jahre brauchen.



MARTIN AUER – Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass die Optik das eine ist und dann gibt es noch die Usability. Es soll praktisch sein. Für die Gäste und natürlich für unsere Kolleg:innen. Darum kam für uns klassisches Shopdesign und Ladenbau nicht in Frage und wir haben jeden Shop von A bis Z selbst gemacht. Zusammen mit tollen Leuten, wie Tischler:innen, Handwerker:innen, Grafikdesigner:innen. Dann ist es stimmig.



STEFAN SAGMEISTER – Weil hier das Fachwissen, wie das Geschäft funktioniert, wichtiger ist als das Wissen um die Form und die Innengestaltung.



MARTIN AUER – Genau. Und das Zusammenfügen von Nutzen und Design ist dabei das Schwierige. Hätten wir Designer:innen oder Architekt:innen, die das für uns machen, müssten die schon zu den Betreiber:innen werden, um ihre Sache gut zu machen.



STEFAN SAGMEISTER – Das glaube ich dir sofort. Bei uns in der Agentur war das bei Charitys so. Nachdem wir ein paar Fehler gemacht hatten, haben wir Charitys nur mehr angenommen, wenn wir selbst mitgearbeitet haben, also Suppen ausgegeben zum Beispiel. Dadurch haben wir ein komplett anderes Verständnis dafür bekommen. Weil wir so mit den verantwortlichen Menschen nicht nur in Meetings zu tun hatten, sondern bei der Arbeit.



MARTIN AUER – Gibt es denn Shopdesigns, die dich beeindrucken?



STEFAN SAGMEISTER – Das ist jetzt eine langweilige Antwort, aber ja: Apple. Da finde ich unter anderem spannend, dass das Design einfach aussieht, aber dass es nichts Teureres gibt als diesen extremen Minimalismus.



MARTIN AUER – Als wie wertvoll wir etwas wahrnehmen, ohne dass man den Preis sieht! Spannend, oder? Man möchte ja meinen, wir würden den Wert von etwas an seinem Preis messen. Aber dem ist nicht so.



STEFAN SAGMEISTER – Ja! Aber ein Shopdesign, das mir auch gut gefällt, ist gar nicht minimalistisch. Es ist das einer Modemarke mit einem Geschäft in Los Angeles und zwei in New York. Die Geschäfte sind voll, zum Teil mit recycelten Möbeln, aber sehr klug gestellt. Bei deren Kleidung ist fast alles recycelt. Ich habe zum Beispiel ein Hemd aus Cognacschleifen und eine Hose aus Mehlsäcken.



MARTIN AUER – Schön! Shopgestaltung ist ja auch immer ein Spiel aus Architektur, Design und dem Produkt.



STEFAN SAGMEISTER – Absolut, ja. Und ich hätte mir nie gedacht, dass das Geschäft funktionieren kann, weil die Kleidung nur so lange produziert werden kann, wie das Material da ist. Aber es funktioniert gut!



MARTIN AUER – Das finde ich interessant. Was meinst du, was braucht es, wenn man mit einem komplett neuen Auftritt in New York relevant sein möchte?



STEFAN SAGMEISTER – Das Wichtigste für eine Brand ist das Produkt. Viel wichtiger als alles andere. Das habe ich auch unseren Kund:innen immer gesagt, für die wir Branding gemacht haben: Wenn euer Produkt nicht gut ist, treibe ich euch nur schneller in den Konkurs, weil die Menschen flotter herausfinden werden, dass es nicht gut ist.



MARTIN AUER – Du machst auch viele Podcasts. Ich finde das toll, weil ich selbst gerne Podcasts höre. Machst du das gerne?



STEFAN SAGMEISTER – Ja und momentan habe ich ein großes Interesse, dass sich mein Thema „Long term thinking“ und „Now is better“ verbreitet. Das kann ich gut über meine Kanäle Museen, Galerien usw. machen, aber auch über Podcasts geht es gut, weil ich für mein Thema länger brauche. Und bei Podcasts habe ich eine halbe Stunde bis Stunde.



MARTIN AUER – Das verstehe ich, da brauchst du die Zeit. Was mich noch interessiert:
Wie würdest du es angehen, wenn du beim Designen einer Werbung darauf Rücksicht nehmen musst, dass deine Kund:innen das Produkt günstig verkaufen wollen? Ich denke da daran, dass wenn eine großartige Agentur etwas für Diskonter macht, dann muss das günstig aussehen. Da entstehen aus kommerzieller Sicht tolle Sachen. Aber vom ästhetischen Anspruch her frage ich mich: Muss das wirklich so aussehen?



STEFAN SAGMEISTER – Ich finde, Werbung kann günstig aussehen, aber trotzdem toll sein. Das können gute Ideen sein, die genau das Publikum ansprechen, die sie ansprechen sollen. Mir fällt als Beispiel eine Kampagne für das Hans Brinker Budget Hostel ein. Ein einfaches, günstiges Hostel für Backpacker in Amsterdam. Die haben kleine Fähnchen gemacht und in Hundehaufen hineingesteckt. Die Aussage war: Bei uns gibt es überhaupt nichts, es ist alles beschissen. Die haben mit billigster Grafik gearbeitet, aber mit sehr guten Ideen. Und das hat unglaublich gut funktioniert!



MARTIN AUER – Hast du jemals den Eindruck gewonnen, dass Rezipient:innen in Österreich anders reagieren als woanders?



STEFAN SAGMEISTER – Nein. Wie du vom Brotbacken weißt, gute Arbeit ist schwer. Das ist auch in der Werbung und in der Grafik so. Es wäre viel einfacher, etwas Mittelmäßiges zu machen. Aber bei den Arbeiten von Werbeagenturen wird oft gar nicht darüber nachgedacht, ob sie überhaupt kommerziell funktionieren.



MARTIN AUER – Ich denke, dass es für Kreative schwer ist zu prognostizieren, ob das, was sie machen, kommerziell auch erfolgreich sein wird.



STEFAN SAGMEISTER – Ja, das ist schwer. Aber ich glaube, was du trotzdem brauchst – und das war der Hauptgrund, warum ich mich aus der Werbung zurückgezogen habe: Wenn ich hier erfolgreich sein will, dann muss ich Verkäufer sein. Ich kann mich da nicht auf dem Rücken der Kund:innen selbst verwirklichen.



MARTIN AUER – Ja, das ist nicht fair.



STEFAN SAGMEISTER – Genau. Die Kund:innen kriegen das ja auch mit, wenn es mir gar nicht darum geht, dass sich das Produkt verkauft, sondern nur darum, etwas Schönes zu machen.



MARTIN AUER – Denkst du, es ist eine zusätzliche Herausforderung, das zu kombinieren? Es müsste ja nicht widersprüchlich sein, dass etwas sowohl dem kommerziellen als auch dem ästhetischen Anspruch gerecht wird.



STEFAN SAGMEISTER – Nein, das ist kein Widerspruch. Da ist es so wie bei dir im Geschäft, wo du das Schöne mit dem Funktionalen verbinden möchtest. Ich glaube, das ist es, was gutes Design ausmacht. Gutes Design ist Design, das irgendwem hilft. Also eine Funktion hat und irgendwen entzückt, weil es schön ist, witzig ist, toll ist. Die zwei Sachen müssen erreicht werden.



MARTIN AUER – Ja, Design hat immer eine Funktion. Bei Kunst ist es etwas anderes, die steht für sich.



STEFAN SAGMEISTER – Ja, und das, was ich jetzt mache, ist funktional dienlich. Ich kommuniziere. Ich verkaufe nichts, aber ich versuche zu kommunizieren, dass, wenn ich die Welt von der langen Seite her anschaue, eine komplett andere Sicht herauskommt als bei der kurzen Seite. Wenn ich die Welt kurzzeitig ansehe, ist fast alles negativ und wenn ich sie langzeitig anschaue, ist fast alles positiv. Und dadurch, dass die Medien nur kurzzeitig schauen, finde ich es wert, das zu kommunizieren.



MARTIN AUER – Weil du die Kurzsichtigkeit der täglichen Medien mit deinem Thema „Now is better“ ansprichst: Da fällt mir der Schweizer Autor Rolf Dobelli ein, der – neben anderen interessanten Dingen – darüber geschrieben hat, wie er auf den Konsum der täglichen Medien komplett verzichtet hat. Im Prinzip sagt er: Es ist morgen nicht mehr relevant. Und wir schenken dem so viel Energie und Aufmerksamkeit. Das finde ich spannend.



STEFAN SAGMEISTER – Ja, Rolf Dobelli kenne ich! Hat auch mich sehr beeinflusst.



MARTIN AUER – Eine letzte Sache noch, Stefan. Ich möchte dir ein – wie ich meine – besonderes Brotmesser mitgeben. Ein Florentine Kitchen Knife. Wir haben eine Kooperation mit dem Messerschmied. Es ist sehr scharf, nimm es nicht ins Handgepäck.



STEFAN SAGMEISTER, lacht – Nein, ich will das Flugzeug schließlich nicht entführen. Ich danke dir!



MARTIN AUER – Gerne, ich habe dir zu danken! Danke für das Gespräch.


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