MARTIN TRIFFT MARI LANG

06 / 07 / 2023
Wenn Frauen und Männer unterschiedlich behandelt werden, kann einem das nicht gleich sein. Der Meinung ist Mari Lang. Deshalb produziert sie einen Podcast zum Thema Feminismus. Damit es künftig eben nicht mehr Geschlecht als Recht ist.
marilang
Als Journalistin ist es Mari Lang gewohnt, Fragen zu stellen. Das war früher bei FM4 so, zuletzt als Moderatorin im ORF und bei Ö1, wo sie seit neuestem arbeitet, ist es natürlich auch nicht anders. Irgendwann ist der Burgenländerin aufgefallen, dass Frauen in der Öffentlichkeit so gut wie immer andere Fragen als Männern gestellt werden. Schon schwierig, gell, mit Beruf und Familie? Das konnte die Feministin Mari bald nicht mehr hören. Nicht einmal in Interviews gibt’s Gleichberechtigung. Mann, oh Mann. Seit 2020 thematisiert sie das deshalb in ihrem Podcast „Frauenfragen“ – prominente Männer antworten darin auf das, was sonst nie jemand von ihnen wissen will – und stoßt damit auf offene Ohren. Frauenfragen gehört zu den erfolgreichsten Podcasts Österreichs und wurde 2022 sogar zum zweitbesten Podcast des Landes gewählt. Wir trafen Mari im Dogenhof, einem Restaurant im 2. Bezirk in Wien.

MARTIN AUER – Als ich diesen Ort zufällig entdeckt habe, bin ich mit Emanuel, einem der Mitarbeitenden hier, ins Gespräch gekommen. Auf einmal sagt er zu mir – ohne zu wissen, was mein Beruf ist – dass seine eigentliche Leidenschaft das Brotbacken sei. Seither bekomme ich regelmäßig Kostproben von ihm. Dieser Zufall hat mich dann auch daran erinnert, dass mich Philosophie und Architektur interessiert haben, als ich jünger war. Mir fehlte damals aber der Mut, es zu studieren. Ähnlich wie Emanuel habe ich mich mit meiner Passion in meiner Freizeit beschäftigt. Wie ist das denn bei dir: Hast du deine Leidenschaft zum Beruf gemacht?

MARI LANG – Ich wollte schon immer was mit Sprache machen und gerne schreiben. Nachdem ich aber aus einer klassischen Arbeiterfamilie komme und meine Mutter Ungarin ist, die Hilfsarbeiterin war, lag diese Option nicht am Tisch. Ich hätte gerne Schauspielerei probiert, aber das habe ich mich nicht einmal zu formulieren getraut. Das ist ja kein Beruf, von dem kann man nicht leben. Für mich war Arbeit immer damit verbunden, davon leben zu können. Alles andere ist Nice-to-have und höchstens ein Hobby. Ich hab dann Publizistik studiert, das ist nahe gelegen.

MARTIN AUER – Sprichst du Ungarisch?

MARI LANG – Nicht mehr so gut, wie ich es mal konnte und wollen würde. Ich hab vor zehn Jahren wieder angefangen, es zu lernen, aber es gibt keinen Bedarf. Meine Mama ist Einzelkind, es gibt sonst keine Verwandten und Ungarisch nur zum Spaß zu lernen, dafür ist die Sprache ein bissl zu schwierig. In den Sommerferien war ich früher fast durchgängig bei meinen Großeltern in Budapest. Da konnte ich als Kind so gut Ungarisch als wär ich Native Speaker.

MARTIN AUER – Ist es also bei der Kindersprache geblieben?

MARI LANG – Genau. Da gibt’s eine lustige Anekdote: Als ich vor 17 Jahren mit einem Journalistenstipendium in Budapest war, war ich eines Tages mit einer Freundin und deren Freunden im Kaffeehaus. Diese Freunde wussten nicht, dass ich keine Ungarin bin, weil meine Aussprache so klingt, als sei ich von dort. Nach dem Treffen meinten sie, ich sei zwar eh ganz nett, aber auch ein bissl komisch. Die hatten über die ungarische Verfassung geredet und ich hab gefragt, was Verfassung heißt – weil ich das Wort auf Ungarisch nicht kannte. Die dachten, ich frage „Was heißt Verfassung“, weil ich philosophieren will. So haben wir die ganze Zeit aneinander vorbeigeredet. Das hat mich viel gelehrt. Man hat immer sofort ein Bild von Menschen und ordnet sie ein.

MARTIN AUER – Dabei passieren diese Schubladisierungen oft unterbewusst, die hat man manchmal ja auch wider Willen.

MARI LANG – Da sind wir schon bei einem großen Thema meines Podcasts. Viele Vorurteile sind ja nicht böse gemeint. Wenn du gelernt hast, eine Frau aufgrund ihres Geschlechts so und so einzuordnen, ist das per se keine böswillige Unterstellung. Oder wenn du denkst, ich bin Ungarin, aber eben seltsam, weil ich anders reagiere, als du erwartest.

MARTIN AUER – Wenn wir uns unsere Vorurteile bewusst machen, ist oft schon ein kleiner Schritt in die richtige Richtung getan. Passiert dir das eigentlich auch manchmal, dass du am Podcast arbeitest und damit konfrontiert wirst, dass du selbst voreingenommen bist, obwohl dir das Thema naheliegt?

MARI LANG – Total! Das ist einer der ausschlaggebenden Gründe, warum es den Podcast gibt. Ich bin im ersten Lockdown in Kurzarbeit geschickt geworden und daheim zu einer 50er-Jahre Hausfrau mutiert. Mein Chef meinte noch zu mir, jetzt hätte ich Zeit, mich um meine Kinder zu kümmern und was mache ich? Genau das! Ich hab echt drei Mal am Tag gekocht, Essenslisten geschrieben, am Nachmittag gab es Kaffee und Kuchen. Wohlwissend, dass ich mich immer als Feministin gesehen habe und mir sicher war, dass ich nicht in solche alten Muster verfalle. Ich habe aber gemerkt, dass ich viele Stereotype rund ums Muttersein in mir drin hab, die mir oft nicht bewusst sind und mit denen ich sehr zu kämpfen habe. In der Theorie klingen viele Dinge ja gut, in der Praxis sind sie aber einfach nicht lebbar.

MARTIN AUER – Was meinst du?

MARI LANG – Zum Beispiel die unterschiedlichen Rollen, die man einnimmt und denen man gerecht werden will. Einerseits Mutter zu sein, in meinem Fall von zwei Kindern, andererseits Ehefrau und Partnerin zu sein, andererseits – eigentlich gehört das an den Anfang, weil mir das sehr wichtig ist – auch im Job eine Erfüllung zu finden. Irgendwas kommt dabei immer zu kurz. Dieses Modell, das wir leben wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Kein Wunder, dass sich so viele Paare scheiden lassen. Mein Mann war jetzt drei Tage mit Freunden unterwegs, ich war am Wochenende mit den Kindern allein und das war total super, weil wir gut eingespielt sind und ich mein Ding machen konnte. Dann kommt mein Mann wieder und plötzlich gibt es das Bedürfnis nach Beziehung. Aber dafür ist dann kein Platz mehr und das frustriert mich. Es geht sich einfach nicht alles aus.

MARTIN AUER – Wie könnte es vielleicht doch gehen?

MARI LANG – Wir müssen offen über diese Dinge reden. Wir sollten damit aufhören, so zu tun, als wäre alles easy cheesy. Ich kann gut ausschauen und bin im Job erfolgreich und hab zwei supersüße überglückliche Kinder auf Instagram – wichtiger wäre zu benennen, was zwischen diesen Bildern im echten Leben stattfindet. Ich glaube nicht, dass meine Kinder die einzigen sind, die von fünf Tagen drei Tage nicht in die Schule gehen wollen und die ich in der Früh erst einmal davon überzeugen muss. Wir glauben immer, na eh klar, bei allen anderen funktioniert es, nur ich bin so unfähig. Wenn wir mit anderen Leuten reden, merken wir plötzlich, wir fühlen uns ja alle unfähig. Das bedeutet, wir sind nicht unfähig. Die Strukturen sind das Problem.

MARTIN AUER – Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern.

MARI LANG – Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir Familien integrieren. Auch in die Berufswelt, wo Eltern bisher gar keinen Platz haben. Schön, dass wir davon reden, Kinderbetreuung auszubauen und dass Frauen jetzt auch Karriere machen dürfen wie Männer. Solange ich nicht auch mit 20 Stunden eine Führungsposition einnehmen kann, etwa in einem Shared-Leadership-Modell, funktioniert das aber nicht. Denn das bedeutet in der heutigen Realität ganz einfach, dass Frauen eben doch nicht Karriere machen können.

MARTIN AUER – Ich kenne heute noch erfolgreiche Männer, die nicht möchten, dass ihre Frauen einer Arbeit nachgehen. Unpackbar.

MARI LANG – Warum sollen Frauen nur die Erfüllung im Haushalt und bei den Kindern finden? Das ist ja absurd! Ich glaube ja, wir bringen alle Begabungen und Fähigkeiten mit und Aufgabe von Schule und Gesellschaft wäre es, sie zu erkennen und zu fördern. Du kannst gut Dinge ordnen und bist ordentlich, dann bist du vielleicht super für die Abfallwirtschaft geeignet. Wenn du dann noch das Gefühl hast, was du mitbringst und tust, ist wertvoll – und meiner Meinung nach ist der Job bei der Müllabfuhr genau so wertvoll wie irgendein Managerposten – dann würde das zu einem ganz anderen Selbstverständnis der Menschen führen und das wäre einmal ein guter Anfang für Veränderungen.

MARTIN AUER – Für mich ist das Thema Selbstwert nicht nur groß, das ist riesig! Selbstwert ist vielleicht das höchste Gut, das wir haben. In unserem Unternehmen haben wir uns wahnsinnig viele Gedanken darüber gemacht, wie Führungskräfte den Umgang miteinander so gestalten können, dass sich unsere Kolleg:innen wertgeschätzt fühlen. Nicht nur im Verkauf oder in der Backstube – auch unsere Reinigungskräfte, die dafür sorgen, dass das Arbeitsumfeld immer sauber ist, sollen die Wertschätzung jeden Tag spüren.

MARI LANG – Stell dir vor, es wäre nicht so. Wie wäre das Arbeitsklima, wenn's nur dreckig wäre? Stell dir vor, du gehst hier auf die Toilette und es ist nur grauslich. Den Unterschied merkst du sofort.

MARTIN AUER – Genau darum geht es uns. Ohne die Mitarbeiter:innen – jede:n einzelne:n von ihnen – würde es nicht gehen. Ein junger Kollege meinte einmal zu mir, wir bräuchten eine:n Feelgoodmanager:in, den:die man aufsuchen könne, wenn man sich nicht wohlfühlt. Aber das wäre doch genau der falsche Schritt! Bei uns hast du schon eine:n Feelgoodmanager:in, deine:n Vorgesetzte:n. Der:die muss versuchen zu erahnen, was du brauchst. Das gilt natürlich auch, wenn es darum geht, Frauen zu bestärken. Für uns ist ganz klar: Wir möchten Frauen im Unternehmen bei dem unterstützen, was sie erreichen wollen.

MARI LANG – Du hast da gerade etwas Interessantes angesprochen: In unserer Gesellschaft kommen wir oft gar nicht dorthin, uns zu fragen, was wir überhaupt wollen. Wir sprechen uns das ab, etwas wollen zu dürfen und wenn doch, folgt darauf gleich: Wie stellst du dir das vor, das geht so nicht, was glaubst du, wer du bist? Anstatt groß zu träumen und darin Energie zu entwickeln, um alte Muster zu sprengen, nehmen wir uns von Vornherein die Chance auf Entwicklung.

MARTIN AUER – Das möchten wir unbedingt anders machen. Als jemand, der eine Organisation prägen darf, frag ich mich, wie schaffe ich das?

MARI LANG – Der erste Schritt ist immer, sich einer Sache bewusst zu werden, sie neu zu denken und dann ins Handeln zu kommen. Was ich merke, ist, dass oft der letzte Schritt fehlt. Es ist toll, Visionen zu haben, aber solange ich daraus keine Realität mache, bringt das niemandem was. Am Ende ist es doch nur frustrierend, wenn du weißt, was möglich wäre, aber nichts passiert. Wenn du im Arbeitsumfeld etwas anders haben willst, mache es selbst anders. Das ist wie mit Kindern: Wenn ich nicht „Bitte und Danke“ sage, warum sollten sie es machen? Weil ich die Chefin bin und das bestimme? Wir leben in einer Gemeinschaft, in der wir alle etwas beitragen können und uns gegenseitig darin bestärken sollten, selbstwirksam zu werden.

MARTIN AUER – Das war auch unser Gedanke bei einem Prozess, den wir vor zwei Jahren im Unternehmen begonnen haben. Dabei ging es darum, gemeinsam herauszufinden, welche Werte und Verhaltensweisen wir hochhalten wollen. Wie schaut unsere Unternehmenskultur aus? Da haben wir so viel Arbeit hineingesteckt, weil wir uns unserer Verantwortung bewusst sind. Wie sagt man so schön: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Dein Vorgesetzter wird keine böse Absicht gehabt haben, als er dich in Kurzarbeit geschickt hat. Der dachte, der hilft dir.

MARI LANG – Ganz sicher sogar. Der dachte, ich bin eine Frau, es ist schwierig für mich.

MARTIN AUER – Solche blinden Flecken haben wir alle. Die können wir nicht selbst ausleuchten. Mithilfe von Feedback können wir aber an ihnen arbeiten. Unser Ziel muss es sein, immer besser zu werden. Ich denke mir zwar manchmal, wir können die Welt eh nicht ändern. Aber in unserer kleinen Welt, die 750 Menschen und deren Familien umfasst, können wir sehr wohl etwas bewirken!

MARI LANG – Da geht es mir mit meinem Podcast ähnlich. Nach jeder Staffel sage ich, das war die letzte. Ich beute mich ja selber aus, weil ich kein Geld damit verdiene. Wenn ich so wie jetzt eine Staffel produziere, zerreißt es mich. Aber wenn ich Feedback von Menschen krieg, lässt mich das nicht kalt. Letztens hat mir ein Mann geschrieben, dass er in einer Folge zum ersten Mal von Mental Load, von psychischer Belastung, gehört hat. Danach hat er sich mit seiner Frau getroffen, von der er sich vor zehn Jahren scheiden hat lassen, um ihr zu sagen, dass er jetzt versteht, wie es ihr damals gegangen ist. Das berührt mich unglaublich. Da tun sich in zwischenmenschlichen Beziehungen plötzlich Dinge, nur weil ich darüber geredet habe. Was glaubst du, wie es erst der Frau geht, die nach zehn Jahren Anerkennung bekommt? Oder wenn mir eine Frau schreibt, wegen mir habe sie sich bei der Gehaltsverhandlung zugetraut, für sich selber einzustehen. Wow! Da hab ich im Kleinen ja wirklich etwas ausgelöst! Ich war früher auch so: Was soll ich machen? Die Welt verändern, pffff. Aber man muss es so sehen: Wenn wir alle im Kleinen die Welt verändern, verändern wir sie gemeinsam im Großen.

MARTIN AUER – Da sind wir ganz einer Meinung. Danke für das Gespräch, Mari!
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